Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften
Auf Thomas Hobbes geht die Feststellung zurück, Absurdität sei ein Privileg des Menschen: Nur ein rationales Wesen ist offensichtlich der Irrationalität fähig. Während das, was außerhalb des Bereichs der Rationalität liegt, „arational“ zu nennen wäre, setzt Irrationalität einen Verstoß innerhalb des Geltungsbereichs der Vernunft voraus. Wie lassen sich aber irrationale Gedanken, Gefühle und Handlungen erklären, wenn Handlungserklärungen, die auf Gedanken und Gefühle Bezug nehmen, grundsätzlich rationalisierende Erklärungen sind, d.h. es erlauben sollen, aus der Perspektive des Handelnden Ereignisse und Einstellungen für vernünftig zu halten? Die Vorträge greifen Fragestellungen wie diese auf und nehmen eine kritische Bestandsaufnahme vor.
„Ich finde es höchst anerkennenswert, daß sich dieses junge Institut durch die Einrichtung einer derartigen Vortragsreihe und die Einladung von Wissenschaftlern wie Hans Albert um die Philosophie in Heidelberg verdient macht.“ – Prof. Dr. Martin Carrier, Universität Bielefeld
Gemeinsame Veranstaltungsreihe mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe
Vorträge der Reihe:
Prof. Dr. Hans Albert
Hans Albert stammt aus Köln, von 1963 bis zu seiner Emeritierung im Jahre 1989 war er Professor für Soziologie und Wissenschaftslehre an der Universität Mannheim. Er gilt als einer der bekanntesten Wissenschaftstheoretiker der Nachkriegsphilosophie und als Begründer des Kritischen Rationalismus in Deutschland. Seine wichtigsten Bücher sind: Traktat über kritische Vernunft (1968), eine umfassende, inzwischen in viele Sprache übersetzte Darstellung des kritischen Rationalismus, Traktak über rationale Praxis (1978), Die Wissenschaft und die Fehlbarkeit der Vernunft (1982), Kritik der reinen Hermeneutik (1994), in diesem Jahr erscheint der Band Kritischer Rationalismus.
Hans Albert ist der wichtigste Vertreter des Kritischen Rationalismus im deutschen Sprachraum. Bereits zu Lebzeiten Poppers hat er verschiedene Modifikationen und Erweiterungen der Popperschen Lehre vorgenommen. Im Anschluß an Karl Raimund Popper kritisiert er in neueren Arbeiten die Auffassung, daß Wahrheit relativ zu einem jeweiligen Hintergrund ist, der den Rahmen unseres Denkens bilden soll, und daß es zwischen den verschiedenen Bezugssystemen keine Verständigungsmöglichkeit gibt, nicht einmal in den Wissenschaften (Mythos vom Rahmen). Dagegen betont Albert die Integration unseres Wissens als zentrales Ziel: Die Kluft zwischen getrennten und scheinbar autonomen Problembereichen oder Fachgebieten soll überwunden werden, in dem Problemlösungen des einen Bereichs nutzbar gemacht werden zur Kritik und damit zu Verbesserungen von Problemlösungen des anderen Bereichs. In seinem Vortrag geht Albert den mit dem Mythos vom Rahmen vorgegebenen Problemen im Hinblick auf das Verhältnis von Wissensintegration und Interdisziplinarität in den Wissenschaften nach.
17. Oktober 2000, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften" in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Dr. Edith Puster
Edith Puster habilitiert an der Universität Mannheim zum Thema „Die Natur der moralischen Motivation". Sie hat Philosophie und Erziehungswissenschaft an der Universität Mannheim studiert und anschließend an der Universität Rostock 1997 promoviert. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Sprachphilosophie, Erkenntnistheorie und Grundlagenfragen der Praktischen Philosophie. Zuletzt erschien: Erfassen und Erzeugen. Die kreative Metapher zwischen Idealismus und Realismus (1998).
Humes Diktum von der Vernunft als bloßer Sklavin der Leidenschaften berührt uns in unserem Selbstverständnis als rationale Wesen und reizt zum Widerspruch. Selbst wenn Handeln stets wunschgeleitet sein sollte, so scheinen sich doch unsere Wünsche nicht selten vernünftiger Überlegung zu verdanken. Praktische Rationalität wäre dann mehr als Zweckrationalität. Daß und inwiefern dieser Schein trügt, soll der Vortrag zeigen.
9. November 2000, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften" in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe.
Domenico Giulini
PD Dr. Giulini stammt aus Heidelberg, wo er auch mit dem Studium begann. Anschließend ging er zum Hauptstudium an das St. John's College in Cambridge (England), wo er auch promovierte. Danach arbeitete er als Assistent in Freiburg und habilitierte sich 1996 in theoretischer Physik mit einem Thema aus der Allgemeinen Relativitätstheorie. Seither Forschungsstipendiat des Schweizer Nationalfonds an der Universität Zürich. Forschungsaufenthalte an der Ecole Normale in Paris und zahlreichen US-amerikanischen Universitäten.
Am 14. Dezember 1900 berichtete Max Planck der Deutschen Physikalischen Gesellschaft über seine physikalische Interpretation einer harmlos aussehenden, von ihm selbst zuvor aufgestellten Formel, die das spektrale Verhalten der sogenannten Wärmestrahlung beschreibt. Maßgeblich durch das Eingreifen Albert Einsteins entwickelte sich daraus in den Folgejahren eine bis heute andauernde wissenschaftliche Revolution größten Ausmasses: Die Quantentheorie.
Die Quantentheorie entwickelte sich von Anfang an diametral gegen die Intentionen ihrer Schöpfer. Für Planck bedeutete sie das vollständige Scheitern eines langjährigen Forschungsprogramms, für Einstein letztlich eine Absage an seine wissenschaftlichen Grundüberzeugungen. Der Vortrag schildert die Hintergründe dieser seltsamen Entwicklung und beleuchtet damit die begriffliche Seite physikalischer Forschung, die gemeinhin stark unterschätzt wird.
3. Januar 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ des European Institute for International Affairs in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe.
Max Albert
Max Albert, geb. 1959, studierte Volkswirtschaftslehre in Würzburg, Mannheim und Konstanz. 1998 Habilitation in Volkswirtschaftslehre an der Universität Konstanz, seit 1999 Professor an der Universität Koblenz-Landau in Landau. Seine Forschungsschwerpunkte sind Außenhandel und Arbeitslosigkeit, Entscheidungs- und Spieltheorie (Lernen und Kooperation), Wissenschaftstheorie und Methodologie der Ökonomie. Demnächst erscheinen u.a. folgende Aufsätze: Bayesian Learning and Expectations Formation: Anything Goes, in: D. Corfield / J. Williamson (Hg.), Foundations of Bayesianism, Resolving Neyman‘s Paradox, British Journal for the Philosophy of Science, An Indirect–Evolution Approach to Newcomb’s Problem, Homo Oeconomicus (mit R.A. Heiner), Holistic Experimentation Versus Decomposition—An Ultimatum Experiment, Journal of Economic Behavior and Organisation (mit W. Güth, E. Kirchler, B. Maciejovsky), Green Tax Reform and Two–Component Unemployment: Double Dividend or Double Loss?, Journal of Institutional and Theoretical Economics (mit J. Meckl).
Der Bayesianismus ist eine häufig vertretene Position in Wissenschaftstheorie, Entscheidungstheorie und Statistik. Nach bayesianischer Auffassung besteht rationales Lernen in der Zuweisung von willkürlichen subjektiven Wahrscheinlichkeiten an alternative Hypothesen und der Anpassung dieser Wahrscheinlichkeiten (gemäß dem Satz von Bayes) an die Erfahrung. Aus Hypothesen ergeben sich Prognosewahrscheinlichkeiten, die als Entscheidungsgrundlage dienen. Ein Blick auf die Chaotische Uhr bringt jedoch die Schwächen des Bayesianismus zutage. Weder schützt er in irgendeinem Sinne vor Entscheidungsfehlern, noch kann er als eine induktive Logik gelten, die Denkfehler zu vermeiden hilft. Er leistet überhaupt keinen Beitrag zur Entscheidungsfindung, sondern verlangt zusätzlich zu einer völ-lig beliebigen Entscheidung eine Präferenzordnung über Alternativen, die durch diese Ent-scheidung definitiv irrelevant werden.
25. April 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Institut für Philosophie, Universität Karlsruhe
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Marcus Willaschek
Marcus Willaschek, geb. 1962, Studium der Philosophie, Biologie und Psychologie in Münster; Promotion 1991; Visiting Scholar, Harvard University 1992-1994; seit 1995 wiss. Assistent in Münster. Habilitation 1999 mit der Arbeit Über den mentalen Zugang zur Welt. Realismus, Skeptizismus und Intentionalität (Veröffentlichung in Vorb.). Weitere Veröffentlichungen: Praktische Vernunft. Handlungstheorie und Moralbegründung bei Kant, Stuttgart/Weimar 1992. - Herausgeber u.a. (mit G. Mohr:) Kant: Kritik der reinen Vernunft (Klassiker Auslegen, Bd. 17/18), Berlin 1998; Realismus, Paderborn 2000 - Aufsätze u.a. zur Handlungstheorie, zur Philosophie Kants und zur analytischen Philosophie des Geistes und der Erkenntnis.
Rationalität und Begründung hängen unmittelbar zusammen: Eine Überzeugung ist genau dann rational, wenn sie ausreichend begründet ist. Doch wann ist eine Überzeugung ausreichend begründet? Eine klassische Antwort auf diese Frage unterscheidet zwischen Begründungen, die für alltäglich-praktische Zwecke ausreichen, und solchen, die für philosophische (oder andere wissenschaftliche) Zwecke ausreichen. Begründungen, die im Alltag ausreichen mögen, halten dieser Auffassung zufolge einer philosophischen Prüfung häufig nicht stand, weil man in der Philosophie strengere Begründungsstandards anlegen muß als im Alltag. Anders als im Alltag müsse man in der Philosophie zunächst einmal an allem zweifeln. Daraus ergibt sich ein „Rechtfertigungsgefälle“ zwischen Alltag und Philosophie: Unsere Alltagsmeinungen sind streng genommen nur dann rational begründet, wenn sie den strengeren philosophischen Standards genügen. Doch diese Auffassung, die das Selbstverständnis der Philosophie bis heute prägt, ist unhaltbar; auch in der Philosophie ist es nicht rational, an allem zu zweifeln. Alltägliche Meinungen (zu denen auch der Glaube an eine denkunabhängige Realität und die Verbindlichkeit moralischer Normen gehört) sind nur dann überhaupt begründungsbedürftig, wenn sie mit guten Gründen bezweifelt werden – und zwar mit Gründen, die nicht nur in der Philosophie, sondern auch im Alltag Gewicht haben. Das Ergebnis ist eine im weitesten Sinn pragmatistische Konzeption von Rationalität und philosophischer Begründung.
09. Mai 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Insitut für Philosophie, Universität Karlsruhe
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Geert-Lueke Lueken
Geert-Lueke Lueken, geb. 1955, hat mit einer Dissertation zum Problem der Inkommensurabilität promoviert und lehrt seit 1993 am Institut für Philosophie der Universität Leipzig. Forschungsschwerpunkte: Sprachphilosophie, Argumentationstheorie und Wissenschaftstheorie. Publikationen u.a.: Inkommensurabiltät als Problem rationalen Argumentierens (1992), (Hg.) Kommunikationsversuche - Theorien der Kommunikation (1997), (Hg.) Formen der Argumentation (2000).
Die Diskussion um das Verhältnis von Natur- und Kulturwissenschaften hat erneut öffentliches Interesse gefunden. Die Fortschritte der Hirnforschung, der Genetik und der naturwissenschaftlichen Anthropologie haben bei manchen den Eindruck erweckt, geistes- und sozialwissenschaftliche Fragen ließen sich besser im begrifflichen Rahmen der Naturwissenschaften beantworten. Doch dieser Eindruck trügt, denn mit dem Wechsel des begrifflichen Rahmens ändert sich auch der Sinn der Fragen. Werden die semantischen Schwellen zwischen den kategorialen Rahmen übersehen, führt das leicht zu irreführenden Gesamteinschätzungen. Die naturwissenschaftliche Weltauffassung, die einmal gegen irrationale Metaphysik angetreten war, kann dadurch selbst irrational werden.
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ des European Institute for International Affairs in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
17. Mai 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Paul Hoyningen-Huene
Paul Hoyningen-Huene, geb. 1946, studierte von 1972 bis 1976 Physik und Philosophie in München (Universität), London (Imperial College) und Zürich (Universität). Assistent am Institut für Theoretische Physik der Universität Zürich. 1975 Promotion in theoretischer Physik an der Universität Zürich. 1975-1980: Assistent am Philosophischen Seminar der Universität Zürich. 1980-1982: Freier Mitarbeiter beim Schweizer Fernsehen (Sendung „Menschen, Technik, Wissenschaft“). 1984-1985: Visiting Scholar am M.I.T,. USA, bei Thomas S. Kuhn. 1987-1988: Senior Visiting Fellow am Center for Philosophy of Science, Pittsburgh, USA. 1988: Habilitation in Philosophie der Wissenschaften an der ETH Zürich. 1989-1990: Oberassistent für Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. 1990-1997: Professor für Wissenschaftsphilosophie und -geschichte an der Universität Konstanz. Seit 1997: Professor für Ethik in den Wissenschaften und Leiter der Zentralen Einrichtung für Wissenschaftstheorie und Wissenschaftsethik an der Universität Hannover. Gastdozenturen und Vertretungen in der Schweiz (1980; 1987), Jugoslawien (1989; 1990), Dänemark (1995; 2000) und Norwegen (1999). Wichtigste Buchveröffentlichungen: Die Wissenschaftsphilosophie Thomas S. Kuhns. Rekonstruktion und Grundlagenprobleme, Braunschweig: Vieweg, 1989. Engl.: Reconstructing Scientific Revolutions: Thomas S. Kuhn's Philosophy of Science. Chicago: University of Chicago Press, 1993 Formale Logik. Eine philosophische Einführung. Stuttgart: Reclam, 1998 (engl. Übs. in Vorb.).
In der Wissenschaftsphilosophie des 20. Jahrhunderts dominierten lange Zeit Fragen, die Aspekte der Wissenschaften im Blick hatten, die überzeitlichen Charakter haben sollten, z.B. die Struktur von Theorien oder die Struktur von Erklärungen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrunderts begannen Fragen nach der Entwicklung der Wissenschaften grösseren Raum einzunehmen. Die Theorien von Thomas Kuhn und Paul Feyerabend, die in den frühen 60er Jahren formuliert wurden, waren primär diesem Thema gewidmet. Allerdings schienen sie den Grundvorstellungen sowohl von Wissenschaftlern, Philosophen und auch Laien hinsichtlich der Wissenschaft diametral zu widersprechen, indem sie nämlich anscheinend den Wissenschaften ihre Rationalität absprachen, insbesondere auch den entwickeltsten Naturwissenschaften. Ob dieser Eindruck richtig ist oder ob er einer differenzierteren Analyse weichen muss, ist Gegenstand des Vortrags.
31. Mai 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Michael Hampe
Michael Hampe studierte 1980 bis 1984 Philosophie, Psychologie und Biologie in Heidelberg und Cambridge. Von 1984 bis 1997 verschiedene wissenschaftliche Positionen in Heidelberg (wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistent, Oberassistent am Philosophischen Seminar). 1989 Promotion, 1994 Habilittation in Philosophie in Heidelberg. 1990 bis 1992 Gastprofessor für Philosophie am Trinity College Dublin. 1994/95 Wissenschaftliches Mitglied des Wissenschaftskollegs zu Berlin. 1995 Preisträger des Gerhard-Hess-Preises der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 1997 bis 1999 Professor für theoretische Philosophie an der Universität Gesamthochschule Kassel. Seit 1999 Professor für Philosophie an der Universität Bamberg.
Vernunft und Affektivität werden traditionell als gegensätzliche geistige Instanzen betrachtet. Die Vorstellung, dass ein wissenschaftlicher Wandel vernünftig ist, schliesst in diesem Bild aus, dass er vor allem affektiv motiviert ist. In der Philosophie des Pragmatismus von Peirce, James und Dewey wird die Vernunft als eine Problemlösungsinstanz betrachtet, die auch affektive Probleme zu beseitigen sucht. Die Tatsache, dass eine Wissenschaft stagniert, dass sie zu keinen neuen Erfahrungen und Theorien vorstösst, stellt ein affektives Problem für die an ihr Beteiligten dar. Wissenschaftlicher Wandel geschieht nur scheinbar, um zu endgültiger Wahrheit vorzustossen; er hat vielmehr mit der Intensivierung der Erfahrung und des Lebens zu tun. Sofern die Vernunft diesem affektiven Interesse dient, ist es vernünftig, nach Daten und Theorieansätzen zu suchen, die einen wissenschaftlichen Wandel herbeiführen.
06. Juni 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Institut für Philosophie, Universität Karlsruhe
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Martin Carrier
Martin Carrier hat Physik und Philosophie studiert und 1984 in Philosophie an der Universität Münster promoviert. Von 1984 bis 1994 war er als wissenschaftlicher Angestellter und Akademischer Rat an der Universität Konstanz beschäftigt, dort auch Habilitation in Philosophie 1989. Von 1994 bis 1998 hatte er den Lehrstuhl für Wissenschaftstheorie der Universität Heidelberg. Seit 1998 ist er Professor für Wissenschaftstheorie an der Universität Bielefeld. Seine Arbeitsgebiete umfassen Wissenschaftstheorie (Theoriendynamik, Theoriebeladenheit, intertheoretische Beziehungen), Philosophie des Geistes, Wissenschaftsgeschichte
In der Wissenschaftsphilosophie wird der Begriff der Rationalität verbreitet für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit wissenschaftlicher Theorien herangezogen. Als rational gelten solche Urteile, wenn sie universelle, epistemisch relevante Kriterien heranziehen. Eine Bestimmung der Theoriewahl durch politische oder geistesgeschichtliche Faktoren ist danach der wissenschaftlichen Rationalität tendenziell abträglich. Im Vortrag wird der Kern dieser Rationalitätskonzeption verteidigt, zugleich jedoch das vielfältige Bedingungsgeflecht aufgezeigt, in dem Theoriewahlentscheidungen stattfinden. Die Diskussion wird am Beispiel der Kopernikanischen Revolution in der Astronomie geführt.
12. Juni 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Wolfgang Spohn
Prof. Dr. Wolfgang Spohn, geb. 1950 in Tübingen, hat in München bei Wolfgang Stegmüller Philosophie, Logik und Wissenschaftstheorie und Mathematik studiert und dort promoviert und sich habilitiert. Nach Professuren in Regensburg und Bielefeld lehrt er nun an der Universität Konstanz. Seit 1988 ist er der geschäftsführende Herausgeber der Zeitschrift Erkenntnis und seit 1997 der Sprecher der ersten DFG-Forschergruppe im Fach Philosophie.
Wie ungeheuer reichhaltige und vielgestaltige Formen die philosophische Rationalitätstheorie mittlerweile angenommen hat, ist sehr unzulänglich bekannt. Davon möchte der Vortrag wenigstens eine Vorstellung vermitteln, indem er das Gebiet anhand solcher Unterscheidungen wie theoretischer versus praktischer Rationalität, instrumenteller versus kommunikativer und Wertrationalität, normativer versus empirisch-erklärender Rationalitäts-theorie aufreißt. Er will aufzeigen, worin bei aller Abgehobenheit die Relevanz philosophischer Rationalitätstheorie besteht. Und er will deutlich machen, wie hinter aller Vielgestaltigkeit die Einheitlichkeit der Rationalitätstheorie vorscheint.
20. Juni 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Institut für Philosophie, Universität Karlsruhe
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Kurt Bayertz
Kurt Bayertz, geboren 1948, hat Philosophie, Germanistik und Sozialwissenschaften an den Universitäten Frankfurt am Main und Düsseldorf studiert. 1974 Magisterprüfung, 1977 Promotion, 1988 Habilitation im Fach Philosophie. Wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Universitäten Bremen (1979 bis 1982) und Bielefeld (1983 bis 1989). 1990-1992 Leiter der Abteilung „Technikfolgenabschätzung“ am Institut für System- und TechnologieAnalysen in Bad Oeynhausen. Professor für Philosophie an der Universität Ulm (1992-1993) und an der Universität Münster (seit 1993). Erstellung mehrerer Gutachten zu bioethischen Fragen für den Deutschen Bundestag. Gutachter für das Bundesministerium für Forschung und Technologie sowie für die Europäische Union. Zahlreiche Buch- und Zeitschriftenveröffentlichungen, u.a. GenEthik. Probleme der Technisierung menschlicher Fortpflanzung (Reinbek: Rowohlt 1987), (Hg.) Verantwortung. Prinzip oder Problem? (Darmstadt: WBG 1995), (Hg.) Politik und Ethik (Stuttgart: Reclam 1996), (Hg.) Solidarität: Begriff und Problem (Frankfurt am Main: Suhrkamp 1999).
Einerseits gilt die Wissenschaft in der modernen Gesellschaft als der Inbegriff der Rationalität: Was sollte überhaupt rational sein, wenn nicht die Wissenschaft? Andererseits wird im Hinblick auf die Folgen ihrer technischen Anwendung zunehmend die Frage gestellt, ob diese Überzeugung aufrechthalten werden kann. Müssen wir angesichts der drohenden Risiken einer globalen ökologischen Krise der Wissenschaft nicht das Prädikat „rational“ aberkennen? Es ist vor allem der von ihr verkörperte Typus instrumenteller Rationalität, der Bedenken provoziert und zu der Frage herausfordert: Ist es rational, rational zu sein? – Der Vortrag wird vor allem das Problem der instrumentellen Rationalität aufgreifen und Überlegungen zu den Perspektiven ihrer Überwindung anstellen.
27. Mai 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Institut für Philosohpie, Universität Karlsruhe
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).
Stefan Gosepath
Stefan Gosepath, geb. 1959; Studium u. a. der Philosophie an den Universitäten Tübingen, FU Berlin und Harvard University; Promotion 1992, 1988-93 wiss. Mitarbeiter für Philosophie an der Hochschule der Künste Berlin, 1993-2000 Assistent ebenda; 1996-7 Forschungs-auf-enthalt an der Columbia University, New York University und Harvard University; ab Juni 2001 Mitarbeiter in einem Forschungsprojekt an der Universität St. Gallen. Veröffentlichungen (in Auswahl): Aufgeklärtes Eigeninteresse. Eine Theorie theoretischer und praktischer Rationalität. Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1992; Philosophie der Menschenrechte, (Hg. mit Georg Lohmann) Frankfurt a. M. (Suhrkamp) 1998; Motive, Gründe, Zwecke. Theorien praktischer Rationalität, (Hg), Frankfurt a. M. (Fischer) 1999; sowie Aufsätze zur praktischen Vernunft, Ethik und politischen Philosophie; S.G. schreibt z.Zt. ein Buch zu Gleichheit und Gerechtigkeit.
Handelnde sollten Gründe für ihr Tun haben, ansonsten wären ihre entsprechenden Handlungen irrational. Ihre eigenen Gründe müssen ihr Handeln erklären und rechtfertigen. Instrumentelle und prudentielle Konzeptionen von praktische Vernunft, wonach Rationalität letztlich auf Wünschen basiert, stehen trotz ihrer großen Popularität in den Wissenschaften in der Kritik. Insbesondere sind sie dem, vor allem in jüngerer Zeit geäußerten Verdacht ausgesetzt, für die Normativität von Gründen nicht aufkommen zu können, weil bestritten wird, daß solche subjekt-relativen, auf Wünschen basierenden Gründe rechtfertigen können. Ließe sich dieser Verdacht nicht ausräumen, erwiesen sich diese Konzeptionen somit als inadequate Auffassungen von Rationalität. Der Vortrag geht diesem Verdacht für verschiedene Konzeptionen von Gründen nach und will ihn ausräumen, indem er zu zeigen versucht, auf welche Weise Gründe normativ sein können. So soll eine Konzeption von Rationalität als aufgeklärtes Eigeninteresse verteidigt werden. Letztlich geht es dabei auch um die Frage der Grundlagen von Normativität überhaupt
03. Juli 2001, 20:00 Uhr
Veranstaltungsort: Deutsch-Amerikanisches Institut Heidelberg
Dieser Vortrag ist Teil der Veranstaltungsreihe „Rationalität und Irrationalität in den Wissenschaften“ in Zusammenarbeit mit dem Institut für Philosophie der Universität Karlsruhe (TH).