Übersetzungen – Risse der Verständigung?
Der Übersetzungsbegriff ist zu einer zentralen Kategorie der Kulturtheorie, der Sprach- und Sozialphilosophie, der Kommunikationswissenschaften sowie der Linguistik und der Ethnologie avanciert. Insbesondere auch durch die differenzlogisch inspirierten Cultural und Subalternity Studies, der Komparatistik und Studien zur (Post-)Kolonialität ist der Begriff der „Übersetzung“ in den Rang eines Schlüsselbegriffs erhoben worden. In der Kulturforschung wird daher schon seit einigen Jahren von einem „translational turn“ gesprochen.
Das Projekt „Übersetzungen – Risse der Verständigung“ hatdiesen prominenten Konzeptbegriff zum Gegenstand kulturtheoretischer und kulturwissenschaftlicher Analyse gemacht und hat versucht zu verstehen, warum dieser Begriff trotz der manifesten Schwierigkeiten, ihn präzise zu fassen und ihm normative Funktionen zuzusprechen, mittlerweile fast zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Ausgangspunkt des Projekts war die Fragwürdigkeit des Übersetzungskonzepts in den gegenwärtigen kulturtheoretischen Diskussionen angesichts dieser Tendenz, den Übersetzungsbegriff auf kulturelle Vermittlungs- und Übertragungsprozesse allgemein zu erweitern. Dafür steht das Schlagwort „Kultur als Übersetzung“, das inzwischen auch Eingang in die sich innerhalb der Sprach- und Übersetzungswissenschaft als eigene Disziplin konstituierende Translationsforschung gefunden hat. Ausdrücklich beanspruchte das Projekt, die Reichweite solcher nicht nur metaphorischer Erweiterungen und disziplinübergreifender Transferversuche des Übersetzungsbegriffs genauer zu untersuchen. Die Klärung der jeweils verwendeten Übersetzungsbegriffe sollte indessen nicht rein begrifflich erfolgen, denn ihr Gebrauch geht nicht selten mit einem kritischen Gestus einher. Vielmehr galt es, anhand besonders aufschlussreicher Beispielfelder die Frage nach Grenzen und Reichweite des Übersetzungskonzepts zu erforschen.
Die Arbeit des Institutsprojekts fand in enger Kooperation zwischen dem Institut für Kulturforschung Heidelberg und dem Schwerpunkt Translationswissenschaft des Fachbereichs Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK) der Universität Mainz in Germersheim statt. Im Rahmen dieser Kooperation wurden regelmäßig Workshops sowie Tagungen durchgeführt und Vorträge gehalten.
Bericht "Translation zwischen den Disziplinen" im Forschungsmagazin Natur und Geist
Wissenschaftliche Leitung: Dirk Hommrich, Jens Kertscher, Matthias Kroß
Recht auf/in Translation
Mit der Frage nach dem kritischen Potential des Übersetzungsbegriffs hat sich als Ergebnis der bisherigen Arbeit der Zusammenhang von Recht und Translation als ein Beispielfeld herauskristallisiert, das für die Konkretisierung der für das Projekt leitenden Fragen und gemeinsamen theoretischen Interessen besonders fruchtbar ist. Seit Januar 2009 steht daher die Arbeit an einem Forschungsprojekt zum Thema Recht und Translation im Zentrum der gemeinsamen Aufmerksamkeit des Instituts und des FTSK der Universität Mainz. 2010 wurde die Arbeit des Forschungszusammenhangs zu "Recht und Translation" am FTSK der Universität Mainz angesiedelt und dabei von der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gefördert. Geleitet wurde die dort von Dirk Hommrich besorgte Forschungsarbeit von Dilek Dizdar.
Obgleich die Frage nach dem Translationsrecht sich aus einer Vielzahl von Forschungsansätzen ergibt, fehlt bisher eine Fokussierung dieses Problemfelds in der Translationswissenschaft. Die anvisierte Verknüpfung der Bereiche Recht und Translation wird unter zwei Gesichtspunkten untersucht. Einerseits soll das Thema Recht auf Translation in den Vordergrund gestellt werden, um eine theoretische Figuration des Rechts auf Verdolmetschung und Übersetzung sowie die Bedingungen hierfür zu erarbeiten, die nicht nur in der translationswissenschaftlichen Literatur bisher fehlt, sondern auch im juristischen Bereich keine zentrale Aufmerksamkeit gewidmet wurde.
Den zweiten Schwerpunkt des Institutsprojekts bildet das Themenfeld Recht in Translation, das den Einsatz und die Funktionsweise von übersetzten Rechtstexten untersuchen soll. Besondere Aufmerksamkeit wird den rechtlichen Vorgaben in der Übersetzungspraxis und der Möglichkeit einer Translation im ‚engen Sinn’ (translation proper) gewidmet. Die Relevanz des Themas Recht in Translation ist vor allem vor dem Hintergrund offener Gesellschaften und der in ihnen stattfindendenen migrantischen Integration, wie etwa im Asylrecht, in den Ein- und/oder Zuwanderungsgesetzen, im strafrechtlichen und zivilrechtlichen Bereich augenfällig. Die Frage ob, wann und wie übersetzt/gedolmetscht wird und wie die Prozesse der Translation jenseits der unmittelbaren Translationshandlungen durch die Akteure wirken, verbindet die beiden Schwerpunkte des Projekts und demonstriert die perennierende Relevanz der Betrachtung und Berücksichtigung des weiteren Kontexts bei Untersuchungen zur Translation und Übersetzungsprozessen.
Projektziele
Die leitende Forschungsfrage ist, ob rechtliche Regelungen sowie kulturelle Konventionen, die in Übersetzungsprozessen wirksam sind, ein Recht auf Translation verdecken. Hierfür sollen erstens die Bedingungen und Einschränkungen für das Recht auf Translation, die vom Kontext und dem Translationsmodus abhängig sind, systematisch untersucht werden und zweitens die Übersetzungen von Rechtstexten, z.B. die Entstehung und Veränderung eines Rechtssystems auf Grundlage von Übersetzungen und deren Interaktion mit schon vorhandenem Recht, sowie die Bedeutung sozialpolitischer, historischer und kultureller Faktoren analysiert werden.
Wittgenstein übersetzen
Auch wenn man prinzipiell von der Übersetzbarkeit philosophischer Texte ausgeht, stößt man bereits bei der Übertragung vermeintlich einfacher Ausdrücke und Gedanken schnell auf größte Schwierigkeiten. Dabei geht es keineswegs nur um Bedeutungsnuancen oder terminologische „Abschattungen“, sondern um handfeste Inkommensurabilitäten, z. B. bei Begriffen wie „Geist“, „Dasein“, „Leib“, aber auch bei medialen Termini wie „Bild“, „Darstellung“ oder „Satz“. Auf der Tagung wurden am konkreten Beispiel der Übersetzung Wittgensteinscher Texte Übersetzungsprobleme von Philosophie verdeutlicht und die Reichweite einer Philosophie der Translation beleuchtet. Darüber hinaus wurden Wittgensteins eigene Überlegungen zur Übersetzungsproblematik und ihre Bedeutung für die neuere Translationsforschung diskutiert.
Workshop zur Translationstheorie (III)
Nachdem in den beiden vergangenen Workshops zunächst translationstheoretische Grundlagentexte sowie das Thema der intersemiotischen Übersetzung im Vordergrund standen, wurden im III. Workshop unter dem Titel Politik der Übersetzung die normativen Aspekte des Übersetzungsgeschehens diskutiert. Ausgehend von Texten v.a. aus dem Bereich der Postcolonial Studies und der politischen Philosophie soll erörtert werden, wie die ethische Dimension der Übersetzung teilhat am soziokulturellen Verständnis von Gesellschaft und Zugehörigkeit, von Macht und Vertrauen.
Translation als Schlüsselbegriff der Interdisziplinarität
Im Bereich der Übersetzungs-und Dolmetschwissenschaft hat durch die interkulturelle Wende,die sich seit dem Ende der siebziger Jahre abzeichnete, eine Verlagerung der Forschungsinteressenstattgefunden. Die Translation wurde von einem durch linguistische Äquivalenz geleiteten Begriff zu einer Kategorie umgedeutet, die den Handelnden und die Handlung zwischen Kulturen in den Vordergrund. Obgleich die zwei Entwicklungen (cultural turn in derTranslationswissenschaft und translational turn in den Geistes-und Sozialwissenschaften) auf den ersten Blick Ähnlichkeiten aufweisen und eine stärkere Verbindung zwischen der Translationswissenschaft und anderen Disziplinen vermuten lassen, fehlt dieser Brückenschlag bisher. Das Ziel der Tagung war, Aspekte herauszuarbeiten, die zur Stärkung einer solchen Verbindung notwendig sind.
Visualisierung als Übersetzung
Die Frage der Bildlichkeit und bildlichen Vermittlung, der „Visualisierung als Übersetzung“ überschreitet einen bloß technisch gefassten translationellen Übersetzungsbegriff. Geht dieser doch typischerweise vom Modell der Übertragung von einem bereits bestehenden (Darstellungs- bzw. Deutungs-)System in ein anderes aus. Am sinnfälligsten ist dieses Vorgehen in der Übersetzungspraxis von einer Sprache in eine andere. Dies gilt im Falle der Visualisierung und Bildgebung jedoch nur partiell. Zwar gibt es auch hier das Phänomen der Übertragung von einem bereits bestehenden Medium in ein anderes: exemplarisch vom Bild zum Text oder vom Text zum Bild. Allerdings hat man es bei Visualisierungen, insbesondere bei solchen bildgebenden Verfahren, wie sie in den Naturwissenschaften üblich sind, mit der Generierung von etwas Neuem zu tun. Ein Ausgangsmedium oder System, von dem aus in ein anderes übersetzt würde, liegt hier nicht vor, so dass sich die Frage danach stellt, wovon die durch die Bildgebungsverfahren erzeugten Repräsentationen eigentlich eine Übersetzung sein sollen bzw. ob es überhaupt sinnvoll ist, in solchen Fällen von der „Übertragung von etwas“ – wovon eigentlich? – ins Medium des Bildes zu sprechen.
Indem die Tagung gleichermaßen die Frage nach der Reichweite von Visualisierung als Übersetzung stellt und dabei neben Fragen der Intermedialität vor allem auch die vielfältigen gesellschaftlichen und kulturellen Kontexte des Bildgebrauchs einbezieht, weist sie sowohl über die vertrauten bildwissenschaftlichen als auch über traditionelle Fragen der Ekphrasis-Forschung hinaus. Während letztere, im traditionellen Sinne, einen ganz spezifischen Fall von Intermedialität, nämlich den der sprachlichen Bildbeschreibung, untersucht und erstere Fragen nach dem Status oder auch der Seinsweise von Bildern, ihrer Funktionsweise als eine bestimmte Klasse von Zeichen aufwirft, stellt die Tagung den Aspekt, Visualisierungsstrategien als eine bestimmte Form des vermittelnden Bildgebrauchs zu behandeln, in den Vordergrund. Am Beispiel der Untersuchung solcher Visualisierungsstrategien können Grenzen und Reichweite eines erweiterten Übersetzungsbegriffs, wie er im Zuge des translational turn propagiert wird, kritisch diskutiert und dieser auf eine breitere und damit auch für andere Bereiche des Übersetzens fruchtbar zu machende Grundlage gestellt werden.
Wissenschaftliche Leitung: Jens Kertscher, Matthias Kroß, Dieter Mersch
Workshop zur Translationstheorie (II)
Nachdem im I. Workshop einige aktuelle translationswissenschaftliche Grundlagentexte diskutiert wurden, stand im II. Workshop anhand ausgewählter Texte das Thema der intersemiotischen Übersetzung im Vordergrund.
Wissenschaftliche Leitung: Dirk Hommrich, Jens Kertscher
Workshop zur Translationstheorie (I)
Der Workshop diente dazu, einige aktuelle translationswissenschaftliche Grundlagentexte zu diskutieren. Zur Debatte stand die im Zuge des so genannten „tranlsational turn“ virulent gewordene Frage, inwiefern der „klassische“ Übersetzungsbegriff aus Sicht der Translationsforschung auf kultur- und sozialwissenschaftliche Ansätze und die durch sie beschriebenen Phänomene sinnvoll übertragen werden kann. Besonderes Augenmerk lag dabei auf der bildtheoretischen Anschlussfähigkeit.
Wissenschaftliche Leitung: Dirk Hommrich, Dilek Dizdar
Übersetzungen – Risse der Verständigung?
Begriffe wie Verständigung, Übersetzung und interkulturelle Kommunikation werden nicht nur im Parlament und in tagesaktuellen Mediendebatten verwendet. Sie sind auch zu zentralen Kategorien der Kulturtheorie, der Sprach- und Sozialphilosophie, der Kunst und Semiotik sowie der Kommunikationswissenschaft und der Ethnologie avanciert.
Der Workshop „Über-Setzungen – Risse der Verständigung“ macht den Konzeptbegriff der Übersetzung zum Gegenstand kulturtheoretischer Analyse und fragt danach, weshalb dieser sprachlichen Praxis ein derart gewichtiger Stellenwert zugeschrieben wird, worin ihre Stärken liegen, ob sie auch Problematisches beinhaltet, oder ob die Übersetzung in kultur-forscherischer Absicht sogar in weitere Wissenschaftszweige übernommen werden sollte.
Wissenschaftliche Leitung: Dirk Hommrich, Jens Kertscher, Matthias Kroß
Tagungsprogramm